An Herr Brecht

Lieber Bert

Du, Herr Brecht,

bitte entschuldige diese dann doch unpassende Anrede. Aber ich kann Dich weder diesen ganzen Brief lang siezen, noch Dich freundschaftlich Bertolt nennen oder Eugen oder Friedrich. Alles würde sich noch unpassender anfühlen als die "Du" plus Nachname-Kombi eines Erstklässlers. Also halte ich 's wie ein süßes I-Tüpfelchen. Das lässt Du Dir sicher gern gefallen ;)

 

Aber nein, lass uns förmlich miteinander bleiben. Sei freundlich, ich mag dich. Und sprich bitte leise, wenn Du Liebe sagst.

 

Nein, ich bin gewiss keine Brechtologin, doch wie ebensolche Strolche aus der Zukunft. Wen haben wir denn da jetzt noch? Um Erbrecht bitten die Brechterbinnen. Du, Herr Brecht, das ist ihr gutes Erbrecht, und nicht eben schlecht. Sind sie doch recht echte Brecht-berechtigte Erben, NachlaßhüterInnen und GruftwärterInnen, die des Eugen Berts Beute beugen, sui iuris ihr Recht anbrechen ohne dabei frei zu erbrechen und in entbranntem Witwenkrieg so wacker die Fahne der eigenen Texttreue hochhalten, weill die Witwen noch immer Deinem - ihrem Werke dienen. Tantiemen, Alimente und Prozentanteile - die gute, alte, schweinische Brecht-Methode. Die all-einige Ko-Autorenschaft ist, wenn alle k. o. gehen für das, was ein Autor nicht alleine schafft. Sie verrichteten Brechts Brotarbeit, mussten aber inmitten Deiner Brot und Spiele spärlich kleinere Brötchen backen. Denn so brach man das Brot bereits in der Brecht-Werkstatt wie ein Weillchen in Johnnys Dichtfabrik. "Ja", sagten da die Männer von Mahagonny in Opas opaler Opferoper, "das lassen wir uns gern gefallen." Weil's Weills Werke wie wohl Wollen waren? "Mann, sieh mal einer an, das Scheusal hat Talent!"

 

Ich danke dir übrigens für die Photographie, auf der Du so schön dumm aussiehst. Welche? Das weiß ich nun nicht mehr. Aber keine Sorge, Du Guter, Deine Güte wird festgestellt und gewürdigt, indem sie in Anspruch genommen wird. So erwirbt der Apfel seinen Ruhm, indem er verzehrt wird.

 

Apropos verzehrt: In der "Du darfst"-Werbung bliebst Du unverzehrt und wurdest doch versehrt, Du, Herr Brecht, unwohlmeinend übersehen und wie das nächstliegende Kilogramm ab- statt angesetzt. Schnaps, Frauen und viel Rauch sind heute nicht mehr verboten, seit Gott Dich allmählich vergaß: erst Dein Gesicht, dann die Hände, aber ganz zuerst Dein Haar.

 

Du, übrigens Herr Brecht, Mann des Wortes, Deine Früchte schmecken bitter! Du hattest Zoff mit Zoff und an Deiner Seite stets Marketenderinnen, Begleitliebhaberinnen, Soldatenhuren, Freudenmädchen, willfährige Jungfrauen, hungrige Hetären, Vielsinnlichkeitsjennys, Lustobjekte, Flittchen, Bordellas, Wunschmaiden, Kokotten, Callgirls, Strichbienen, Metzen, Bordsteinschwalben, Gunstgewerblerinnen, allenfalls Stardirnen, Gossenheroinen, Edelnutten, Puffmuttis und Kupplerinnen, alle meist im Schlampenlicht auf ein Produkt reduziert und von ausdifferenziertem Warencharakter. Zeigten sie bloß nicht ihren wahren Charakter auf der Suche nach Dir, Herr Brecht, uns aller allmighty Sugardaddy! Du, Herr Brecht, müsstest es doch eigentlich wissen: Vögeln Freier wohl wie freie Vögel?

 

Und Mahagonny? "Das gibt es nicht. Das ist kein Ort. Das ist nur ein erfundenes Wort." Mahagonny verortet sich nicht und doch holtest Du dort in Spießers Utopia urweit aus mit der Moralkeule, damit einzuprügeln auf "Menschfischer, die dort ihre Netze auswerfen". Berichtetest Du, Herr Brecht, dort etwa nicht ungern ungerecht von eigenem Urrecht, Deinem Sehnsuchtsort? Dir Paradiesstadt, Schlaraffenland, Abschaum Town, Sin City, Freudenhaussiedlung in der kapitalistischen Wüste, wo sich Horrorhedonismus und Exzess-Existenz am Brecht'schen Ballermann "Gute Nacht" sagen, ohne sich bürgerlich zu betten, und mit der Genussmetropole Dein Disney-Babylon meinen.

 

Aber Du spieltest ihn ganz gut, den Anti-Heiland in der Schuldshow, in der man trotz des Goldfiebers eifrig am laufenden Vergnügungsfließband Schulden duldete. Und Deine Lusttruppe gönnte sich in dieser lustleeren Musterstadt ihr unwohl verdientes Bad im Sündenpool, meinetwegen am Südpol, der Dir dann doch allzu schnell zum Haifischbecken geriet, das ich Dich bitte, bitte, nicht zu verwechseln mit einem wilden, wohltemperierten Wechselbad der Gefühle. Denen nämlich begenet man in Mahagonny weit weniger als albern männlicher Agonie: Inmitten dieses larmoyanten Melodrams wird ein so simpel simuliertes Sodom und Gomorra für wahrlich Wesensarme entworfen, dass die Fracht dieser arbiträren Arche Las Vegas so voreilig und banal beladen wird, wie ein bildungsarmes Boulevardblatt es hassend herbeihetzt, dass die Hure höchstpersönlich Hurrikan und Horror aus der Hölle holt.

 

Nun, der Turbokapitalismus erkannte auch in Dir seine Erfolgslaufmasche und legte in Deiner Doppelmoral gut und günstig ihr Zeugnis ab. Von links mit der Moralkeule auf die Spaßgesellschaft einzuprügeln, ist heutzutage eben ziemlich unüblich und kennzeichnet Dich als kalkulierenden Komplizen des Kapitalismus, nicht einmal davor kapitulierend, sondern das Kritisierte selbst kulinarisch konservierend, neidisch, nichtgönnerisch, aber durch die Lust an der Bestrafung von Abweichlern und im holzigen Urteil Fällen über das Andere plötzlich stark. Denn so lenktest Du, Herr Brecht, der Machtbesitzer, mit altbackener Bibelbuße genüsslich von Dir selbst ab. Deine Selbsteinschätzung? "It wasn't me!" Ein tapferes #MeNot verpufft noch so gerade in unglaubwürdiger Selbstgerechtigkeit eines gänzlich untragischen Helden, eines kümmerlichen Muttersöhnchens, das, an der mütterlichen Brust nie satt geworden, bemutterungsbedürftig selbstmitleidig bleiben muss. So fandest Du, Herr Brecht, darin Hinter-Halt. Mit der nüchternen Gerissenheit eines Börsenmaklers, dem unternehmerischen Geschick eines Heiratsschwindlers und der triebhaften Skrupellosigkeit eines Zuhälters jongliertest Du bar jeden Mitgefühls mit den Menschenleben in Deinem Harem, einfach weil Du die Vögel von den Bäumen charmieren konntest, so dass viele heiratsschwindlig fielen. Doch leider leider, meine Unlieber, nicht wegen Dir freibeuterischem Frauenausbeuter, faulem Herzensbrecher, Schürzenjäger, Hurentreiber, Freiheitsverbieter, Nutznießer der Menschenrechte und kommunistischem Populist, der mit schwarz-weiß-malerischer Zeigefingermoral und dem Zungenschlag einer Schlangenzunge das Eigene als Spaßbremse und Lustfeind stets mit dem Charityetikett zu versehen wusste, mir Dir zogen sie bloß ihr Alternativlos.

 

Hörte man dich sagen, dass die Mann-Frau-Beziehung ein liebeshandelseiniger Vertrag sei, wo meistens der Mann "ungeheuer viel verlangen kann und die Frau ungeheuer viel zugeben muss", so hätte es selbst den Göttern dämmern müssen, welch gern vergessenen Menschenfeind wir in Dir klar erkennen konnten und umso eifriger wieder verbargen.

 

Du nahmst gern und gabst wenig, verteiltest in Macho-Pose die Machtlose weder fesch noch gutaussehend, sondern als überaus ungepflegtes, spindeldürres Männlein. Dein Geld machte Dich kaum sinnlich, Dein Geld selbst machte mehr Sinn, nicht? So scheint die Liebe Liebenden ein Halt, wenn man halt kein Geld hat.

 

In meiner späten Gnade möchte ich Dir nun ein letztes ehrenvolles Angebot machen: Darf ich Dich zum Menschenopfer-Motiv machen? Ich bring Dich ganz groß raus und ordentlich opulent direkt auf die Opferbühne als wackerer Macker, dessen Lebensliebe mir als liebhaberische Lebenslügende etwas mehr gehört als umgekehrt. Mach jetzt keine abweisenden oder tragischen Gesichter! Und glotz nicht so romantisch. Ordne Scham und Brüste, genauer gesagt: grün sein, darauf bestehe ich! Und zum letzten Mal: Vergiss die Peitsche nicht.

 

Mir, deinem Betrachter als echter Brecht-Verächter machst Du, Herr Brecht, auch sonst eine passive, blasse Figur. Denn alles klingt billig im Hotel zum Reichen Mann. Gut, ich nehme dich. Ich fühle mich Dir sehr gewogen und vielleicht nur wegen deinem hilflosen Nein. Das ist schon ein Fußtritt von besonderer Heftigkeit: War ein Tritt frei, gäbe es zwei umsonst, aber Du fragtest ja nicht nach Deinem Anteil.

 

Ich, Pornografistin und Heilige Geistin, fühle mich beim Angesang des Jahrtausends wie eine Million-Dollar-Dompteuse in Deinen Augen. Übrigens Du, Herr Brecht, haben sich die Zeiten in Realtime gerändert. Die Helden des Konsums frönen der Angstvöllerei und behaupten sich in einer Wohlstandsgesellschaft, indem sie sich von ihrer Machtlosigkeit vergeblich freizukaufen versuchen. Deine katholizistische Mahagonnysierung ist eine Langzeitmarke, wo immer ein billiger Mantel einen billigen Mann macht. In der braven neuen Welt sind Soziale Schmarotzer und man muss nicht lange auf die Youtube drücken, um die sich selbst zur Ware Stilisierenden bei ihrem ganz persönlichen Sellout wertzuschätzen. Der bärbeißige Bullen- und Bärenmarkt kennt keine wahre Welt jenseits der Warenwelt und so wenig der Kapitalismus die Armut selbst abschafft, so schnell wird das Selbst in ihm bei Armut abgeschafft. Deinen Blick in die Zukunft warfst Du nicht ohne jegliche Phantasie und Kreativität an ihrem Eingang abzugeben und Dich so dem populistischen Dresscode anzubiedern. Und Hier und heute macht mich Deine verwöhnte Empörung wohl gähnen, Dein klotzendes Kalkül aber kotzen durch würgevollen Brech(t)reiz, den ich abschließend kopfgebürtig und kurtweillig der werwölfigen Wollust verlustig beim Mädchennamen nennen möchte: Better Bitch than Brecht!

 

Inzwischen liege ich in der Horizontalen, rauche und gönne mir mich ganz gerne ohne Dich.

 

 

 

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